Deutsche
Raketenspezialisten in der UdSSR
Der Ausgang des II. WK eröffnete der sowjetischen
Seite diverse Möglichkeiten, deutsches know how nach Osten
zu transferieren. Zuerst waren da natürlich die so genannten
Beutegüter, die von den Beuteeinheiten, der Front auf dem Fuße
folgend, gen Moskau transportiert wurden. Man war sich im Kreml
aber schon damals im klaren, dass ein technologischer Fortschritt
in der UdSSR nicht nur durch die technischen Sachstücke, sondern
vor allem durch die geistigen Träger des Wissens zum Zuge kommt:
„Es mehren sich die Fälle,
in denen Arbeiter und Angestellte der Hochschule gefragt werden,
ob sie evtl. bereit seien, mit nach Russland zu gehen, um in russischen
Fabriken zu arbeiten...“ (Brief des Rektors der TH
Dresden an die Landesverwaltung Sachsen vom 27.09.1945). Alle Bereiche
der deutschen Wirtschaft waren von Interesse, besonders aber die
der geheimen Raketenwaffen. So regte sich unmittelbar nach Kriegsende
in der Ost-Zone ein von russischen Wissenschaftlern in Uniform initiierter
Laborbetrieb der schließlich zum Höhepunkt Mitte 1946
zum „Zentralinstitut“ mit 7000 Beschäftigte ausuferte.
Vorrangig in Zentren wie Peenemünde, Berlin und Bleicherode
lockten lukrative Beschäftigungen, inklusive reichlicher Lebensmittelrationen,
die Deutschen in die neuen alten Firmen, um die Rakete wieder erstehen
zu lassen.
Da alle alliierten Mächte erpicht waren, möglichst die
besten Experten in ihr Team zu bekommen, scheuten sie weder vor
„Schutzhaft“ noch vor Entführungen zurück.
Die Verpflichtung der Deutschen durch die Amerikaner, Engländer
und dann der Franzosen bis Mitte des Jahres 1946 und deren Übersiedelung
in die jeweiligen Länder, erforderte eine klare Reaktion der
Russen. Grundlage aller späterer Aktionen, deren Höhepunkt
die Verschleppung von 308 Raketenspezialisten und deren Angehörigen
ab dem 22. Oktober 1946 war, stellte der streng geheime Beschluss
Nr. 1017-419 ss des Ministerrates der UdSSR vom 13. Mai 1946 dar.
Hierin werden sowohl die Vorgehensweisen des neu gegründeten
„Spezialkomitees für Raketentechnik“ beschlossen,
als auch die Schlüsselaufgaben in der Raketentechnik genannt.
Abschließend wird erklärt: „Die
Arbeiten zur Entwicklung der Raketentechnik werden zur wichtigsten
Staatsaufgabe erklärt. Alle Ministerien und Organisationen
werden verpflichtet, die raketentechnischen Fragen als erstrangig
zu lösen.“
Sie wurden gelöst und die „Spezialisten
der reaktiven Technik“ auf 9 Ministerien verteilt. Zwar begann
die Arbeit in den jeweiligen „Kollektiven“ sehr schleppend,
doch nachdem die deutschen Unterlagen ins Russische übersetzt
und die DIN-Norm auf GOST umgeschrieben wurde, erbrachten die Arbeiten
derart hervorragende Ergebnisse, dass Russland noch heute davon
zehrt: Die erste Interkontinentalrakete R-7, die im Mai 1957 ihren
Erststart hatte, baute grundlegend bei den Triebwerken, der Raketenzelle,
beim Sprengkopf und der Steuerung auf deutsche Ideen auf. Mit ihr
erzielte die UdSSR auch alle ihre ersten Weltraumerfolge: Sputnik
1, Juri Gagarin, Luna... Und die von der R-7 abgeleitete SOJUS-Trägerrakete
startet u.a. heute noch jede bemannte Mission Russlands.
Zuerst mussten natürlich auch die russischen Ingenieure an
die Flüssigkeitsgroßraketentechnik herangeführt
werden. So dauerte es noch bis zum 18.10.1947 bis die erste rekonstruierte
A4 in der Steppe um Kapustin Jar sich die Lüfte erhob. Über
die Kopie der A4, der R-1, und den Weiterentwicklungen R-2 und R-5
tastete sich der Chefingenieur Sergej Pawlowitsch Koroljow an die
Kontinente überwindende Rakete heran.
Die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen,
der gegen seinen Willen für eine fremde Macht arbeiten musste,
beantwortete der Leiter des größten „Kollektives“,
Dipl.-Ing. Hellmut Gröttrup, angesiedelt im Ministerium für
Bewaffnung, wie folgt: „Ich
stehe nur auf dem Standpunkt, dass ich zwar die Entwicklung hier
mit meinen Erfahrungen um Jahre vorwärts treiben konnte, dass
ich aber nie – bei Arbeitsverweigerung – die Entwicklung
für immer aufgehalten hätte“ (Zitat aus Irmgard
Gröttrup – Die Besessenen und die Mächtigen/Im Schatten
der roten Rakete).
1950 kehrten die ersten Spezialisten wieder zurück, teilweise
mussten Gruppen bis 1958 in der UdSSR verweilen. Über den wahren
Wert ihrer Leistungen legt sich bis zum heutigen Tag der Schleier
der russischen Geheimhaltung. Hier werden sie entschlüsselt. |
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