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Aggregat - Personen - Biographien - Reisig  

In memoriam Gerhard Herbert Richard Reisig

Gerhard Reisig wurde am 3. März 1910 in Leipzig geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in der (Alten) Nikolaischule in der Leipziger Königstraße, in der schon solch berühmte Personen wie Gottfried Wilhelm Leibnitz oder Karl Liebknecht zur Schule gingen.

Zu Ostern 1929 schrieb er sich in die Studienrichtung „Technische Physik“ an der Sächsischen Technischen Hochschule zu Dresden ein. Als Diplomand beim bedeutenden Forscher Heinrich Barkhausen verdiente er sich die Schwachstrom-Sporen, die ihn in Peenemünde innerhalb des Direktorats Bordausrüstung, Steuerung und Messtechnik (BSM) unabkömmlich werden ließen. Am 30. November 1934 erhielt er seine Urkunde zum Führen des Titels Diplom-Ingenieur.

Mitte der dreißiger Jahre arbeitete er bei Siemens in Berlin und holte sich hier das praktische Rüstzeug.

Ab Herbst 1937 hat Reisig einen Arbeitsvertrag mit dem Heereswaffenamt. Er soll den Aufbau einer Messgruppe in Peenemünde koordinieren. Reisig wurde unbequemer Spezialist für elektrische und elektronische Instrumentation und besonders für Lenk- und Steuerungsprobleme. Damit schuf er die Voraussetzungen für Steinhoffs BSM, das ab 1939 existierte. Er leitete als Hauptgruppenleiter die Mess- und Funkabschalttechnik BSM / A III / 1 bis 1943, musste aber dann doch noch an die Front („Rußlandeinsatz“). Viele hunderte Ingenieure wurden Mitte 1943 durch eine abgemilderte „uk-Stellung“ eingezogen. Der militärische Chef Peenemündes, Walter Dornberger erkannte zu spät den Kahlschlag. Mit größten Mühen (und viel Papierkram) konnten einige Mitarbeiter wieder von der Ostfront abgezogen werden, was nur mit höchster Dringlichkeit begründbar war. So traf Reisig bald wieder in Peenemünde ein und wurde bis Kriegsende dem „Stab Dornberger“ als Chef-Ingenieur direkt unterstellt und ging dann mit dem Stab über Nordhausen direkt nach Oberammergau. So kann sich Reisig nach Kriegsende rechtzeitig nach Landshut begeben und wird aufgrund seiner Qualifikation einer der 118 „Paperclipper“. Er erreicht in der letzten Gruppe 1946 El Paso, Texas. Hier muss man sich neu orientieren. Reisig interessiert sich nun verstärkt für analytische Ballistik.

1950 erfolgt der Umzug der Wernher von Braun-Gruppe nach Huntsville, Alabama. Hier wird er sofort Gruppenleiter für Fluganalyse und atmosphärische Raketenballistik in der Army Ballistic Missile Agency. Ein Job, der ihn lange Zeit beschäftigen wird.

Sein beruflicher Ehrgeiz wird 1963 gekrönt. Seine am 4. November 1961 an der TH Braunschweig eingereichte Dissertation „Kritischer Vergleich einiger Machzahl-Messmethoden für den Freiflug von Fernraketen“ wird angenommen. Dienstliche Umstände lassen die Verteidigung immer wieder verschieben, bis er schließlich am 16. Juli 1963 die mündliche Prüfung ablegen kann und fortan Dr.-Ing. ist.

1971, mit 61 Jahren, wird Reisig Leiter des Flight Data Statistics Office im Marshall Space Flight Center.

Gerhard Reisig wird in den Folgejahren zur begehrten Person, die aus erster Hand Vorträge über Physik und die Geschichte der Raketentechnik zu berichten weiß. Sogar verschiedene Gastprofessuren werden ihm angetragen.

Sein in Deutschland erschienenes Buch „Raketenforschung in Deutschland“ (Agentur Klaus Lenser, Münster, 1997, ISBN 3-89019-500-8) wird als grundlegendes Kompendium der Entwicklung der Raketen von Typ AGGREGAT auf Dauer das Nachschlagewerk sein. Seine Absicht, ein Memorandum des Aggregat-4-Systems niederzuschreiben, wurde zuerst wegen der dauernden Hilfeleistung gegenüber seiner gesundheitlich schwer angeschlagenen Frau verhindert, zuletzt musste er seiner englische Ausgabe des „Raketenforschungsbuches“ Tribut zollen. Schließlich hatte er auch nicht mehr die Kraft das Memorandum zu vollenden. So bleiben uns nur seine Zeilen aus dem offenen Brief an den „Förderverein“ in Peenemünde, der im Oktober 1998 teilweise bekannt wurde. Sein Credo: „… Unsere Aufgabe und unser hingebendes Ziel war die Schaffung einer strategischen Punktziel-Fernrakete. … Das Peenemünder Team hatte an der unsinnigen Massenfertigung eines unterentwickelten ballistischen Geräts (unter der SS – Einfügung Przybilski) sowie dem terroristischen Einsatz eines unfertigen Geräts nicht den geringsten Einfluss, oder gar eine Entscheidungskompetenz…“

Seit früher Jugend war er Viola – Spieler. Schon in Peenemünde wurde kräftig im Trio oder Quartett gespielt. So verwundert es nicht, dass er als Gründer der Huntsville Chamber Music Guild gilt.

Verheiratet war er seit 1937 mit Gisela Hänichen. Aus dieser Ehe, die bis zum Schluss hielt, gingen zwei Töchter (Gerlinda und Godela), drei Enkel und ein Urenkel hervor.

Gerhard Reisig starb am 9. März 2005 in Moorhead, MN bei seiner Godela. Die Trauerfeier fand am 15. März 2005 in der St. Mark´s Kirche, Huntsville statt. In aller Stille setzte man ihn auf dem Maple Hill Friedhof in Huntsville bei.

 

Quellen:
e-Mail Konrad K. Dannenberg
Telefonat Otto Kraehe
Stuhlinger, Ernst / Ordway, Frederick I.: Wernher von Braun, Aufbruch in den Weltraum. Die Biographie. Esslingen, München 1992
Archiv TU Dresden
Archiv TU Braunschweig
www.in-forum.com/obituaries/index

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