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Gruppe für Raketenantriebe im Ministerium für Luftfahrtindustrie

Bereits im August des Jahres 1945 brannte das erste Aggregat 4-Triebwerk im Schieferbruch von Lehesten unter russischer Aufsicht. Leiter war Arwid Pallo. Er sammelte dafür eine Gruppe deutscher Raketentriebwerks-Spezialisten um sich. So konnten die russischen Ingenieure sich erstmalig ein genaues Bild vom riesigen Technologievorsprung der Deutschen machen.

Im Oktober übernahm Akademiemitglied W. P. Gluschko den Oertelsbruch. Er erkannte weitsichtig die Möglichkeiten dieser gewaltigen Strahlantriebsmaschine des A4 und formierte ein Konstruktionsbüro. Innerhalb der „Zentralwerke Nordhausen“ führte sein „Werk IV“ entgegen den immer wieder vorgebrachten Behauptungen, die spätere sowjetische R-1 und ihre Komponenten seien nur vereinfachte Kopien der A4, bereits zu diesem Zeitpunkt schon Verbesserungen durch, die eine ganze Triebwerksreihe begründen sollten.

Deutscher Leiter des Prüffeldes wurde der ehemalige Verantwortliche für die sechs großen Peenemünder Prüfstände, Willi Schwarz, der ab November 1943 den Aufbau der Anlagen im Saalfelder Kreis koordinierte. Als Leiter des zugehörigen Konstruktionsbüros für die Berechnung und Konstruktion des A4-Antriebsblockes in Nordhausen setzte man Werner Baum ein, ehemaliger Kontrollingenieur des Heereswaffenamtes für das Gesamtgerät A4. Wichtiger Fertigungsfachmann war Dr. Oswald Putze, der die Fertigung der Brennkammern und Hecks im LHB-Werk in Breslau leitete.

Mit der Verschleppung der reichlich 2100 Spezialisten am 22. Oktober 1946 in die Sowjetunion, verschlug es Baum (er wurde auch der Leiter dieses deutschen „Kollektives“ in der UdSSR), Schwarz und noch 22 weitere Mitarbeiter nach Chimki, einem nord-westlichen Moskauer Vorort, ins Werk 456 unter die Hoheit des Ministeriums für Luftfahrtindustrie (lt. Liste nur 23 - höchstwahrscheinlich wurde eine Sekretärin nicht mitgerechnet). Leiter dieser später GDL-OKB (heute NPO Energomasch) genannten Triebwerksschmiede: Gluschko.

In Chimki stand für die Deutschen als erste Aufgabe die Abstimmung der aus Deutschland mitgebrachten A4-Antriebsblöcke, die 1947 für die Starts und Prüfstandversuche auf dem Gelände Kapustin Jar bereitgestellt werden sollten. Seitens der Antriebe verliefen dann die 11 Flüge des A4 an der Wolga ohne Komplikationen.

Bei den technischen Hauptmaßen und konstruktiven Lösungen des ersten „russischen“ Triebwerks RD-100 für die R-1 stützten Gluschko's Mannen sich auf die Lehrmeister aus Deutschland, die auch noch gleich die Werkstoffe nach deutscher DIN-Norm in russische nach GOST-Norm transferieren mussten. Die Betriebsparameter lagen schon über denen der A4-Vorgaben der im Krieg eingesetzten Baureihe B. Also auch hier kann man von einer vereinfachten Kopie nicht mehr sprechen. Es war schon eine klassische Weiterentwicklung! Am 17. September 1948 startete die erste R-1. Seitens des RD-100-Triebwerkes wurde es ein 100%iger Erfolg.

In den Jahren bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland Ende 1950, entwickelten die deutschen Raketentriebwerksspezialisten mehrere neuartige Düsenformen und Triebwerke, von denen z.B. heute noch ein Typ in jeder SOJUS-Rakete fliegt! Das habe ich u.a. anhand von Dokumenten, Zeichnungen und Zeugenaussagen ausführlichst in der DGLR-Fachzeitschrift „ Luft- und Raumfahrt“ (Hefte 2 bis 4/99) nachgewiesen. Diese und andere technische Sensationen sind im Einzelnen dort nachzulesen. Wenn man dann auch noch von der renommierten British Interplanetary Society aufgefordert wird, in deren Journal JBIS einen Artikel darüber zu veröffentlichen, so ist einem zumindest die internationale Anerkennung gewiss. Hier in Deutschland reitet man auch heute noch auf alten Erkenntnissen herum und macht sich nicht die Mühe in aktuellen Fachblättern zu recherchieren. Ewiger „Aufhänger“ ist die von den Historikern immer wieder diskutierte Aussage Gröttrups, des Leiters der größten Raketenspezialistengruppe in der UdSSR, dass „eine exakte Prognose, in welchem Umfang die Arbeitsergebnisse ... von der russischen Entwicklung genutzt wurden, nicht gestellt werden kann“ (Gröttrup, Helmut: Aus den Arbeiten des deutschen Raketen-Kollektivs in der Sowjet-Union; „Raketentechnik und Raumfahrtforschung“, Zeitschrift der DGRR, Heft 2/1958). Das gipfelte dann 1992 in der Formulierung von Albrecht/Heinemann-Grüder/Wellmann („Die Spezialisten“, Dietz Verlag Berlin, S. 172) "Ob und in welchem Maße die in den Skizzenprojekten der deutschen Raketenkonstrukteure entwickelten Ideen in die sowjetische Entwicklung eingingen, lässt sich schwer abschätzen". Endlich Herr Matthias Uhl („Stalins V2“) hat sich die Mühe gemacht und tief in russischen Archiven „gewühlt“. Und sein Kommentar „Insgesamt bedarf das Problem der Teilnutzung der deutschen Projekte einer weiteren Aufarbeitung, wobei nicht nur Zugang zu den entsprechenden Unterlagen sondern auch eine enge Kooperation zwischen deutschen und russischen Historikern sowie Raketenexperten erforderlich ist“ (Fußnote S. 211) sollte Fingerzeit für zukünftige Forschungen sein.

Vom Ergebnis her ist die „Chimki-Gruppe“ zumindest gleichwertig der „Gröttrup-Gruppe“ im Ministerium für Bewaffnung, die ja vorrangig die Zellen zukünftiger sowjetischer Raketen konstruierte und erstmalig sich an schwenkbare Triebwerke traute.

Willi Schwarz: Lernte Maschinenbauschlosser auf der Schiffswerft in Breslau und bereitete sich durch Abendschulbesuche auf ein Studium vor. Zwischen 1929 und 1931 fuhr er zur See und lernte den Kesseldampfmaschinen- und Turbinenbetrieb hautnah kennen. Mitte 1934 beendete er das Ingenieurstudium an der Höheren Technischen Staatslehranstalt für Maschinenwesen in Breslau. Nach mehreren Tätigkeiten in verschiedenen Firmen erhielt er 1938 eine Anstellung im Oberkommando des Heeres als Versuchs- und Prüffeldingenieur für die Flüssigkeitstriebwerksprüfstände in Kummersdorf, Peenemünde und Lehesten.

Dr.-Ing. Oswald Putze: Erhielt sein Maschinenbaudiplom 1925 in Hannover, wurde 1926 Lokomotivführer. Seine Anstellung bei der Deutschen Reichsbahn (Reichsbahnrat) dauerte bis zur Beurlaubung zur Beschäftigung bei den Linke-Hofmann-Werken in Breslau bis Ende 1934. Dort Aufstieg bis zum Mitglied des technischen Vorstands und Direktor. Erfinder des zweispurigen Radsatzes (1941). LHW baute ab 1943 Brennkammern und Hecks des Aggregat 4 als „Leitfirma“ und später, bis zur Verlagerung des Werkes ab 03.02.1945 nach Kleinbodungen (Tarnbezeichnung PETERBAU), auch die Fliegerabwehrrakete Wasserfall.

Dr. Putze baute nach der Rückkehr aus der UdSSR in Salzgitter als Vorstandsmitglied die sehr erfolgreiche Linke-Hofmann-Busch GmbH wieder auf.

 

Die Testanlage in Lehesten bei Schmiedebach: Halbrechts der Kontrollbunker und links und rechts zugehörig die Brennstände.

 

Ein Brenntest des A4-Triebwerkes „Korbkopfofen 39“.

 

Werner Baum (Jahrgang 1918): Nach Oberrealschule und Betriebspraktikum wurde er zum Waffeningenieur an der Heeresfachschule Berlin ausgebildet. Als Kontrollingenieur für das Gesamtgerät Aggregat 4 unterstanden ihm die Abnahmestellen im Mittelwerk, die Prüffelder in Lehesten, Ober-Raderach und Attnang-Puchheim. Nach dem Krieg wurde er über die „Zentralwerke“ für 4 Jahre in die UdSSR (Chimki) verbracht und legte dort mit seinen deutschen Mitarbeitern den raketentriebwerkstechnischen Grundstein für die sowjetischen Raumfahrterfolge.
 
 
 
 

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